Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) gegen Diabetes

In den letzten Jahren ist die Zahl der Neuerkrankungen an Diabetes mellitus stetig und weltweit gestiegen. Besonders in Ländern mit wachsendem Wohlstand und zunehmender Überernährung (kohlenhydrat-und fettreiche Ernährung), wie bspw. in der VR China, ist dieses Phänomen zu beobachten. Nach neuesten Daten der Internationalen Diabetes-Föderation (IDF) gibt es derzeit weltweit 500 Mio. Menschen, die an Diabetes leiden (dies entspricht ca. 8 % der erwachsenen Bevölkerung weltweit).

Die westliche Medizin hat ein tiefes Verständnis des Diabetes auf zellulärer und genetischer Ebene gebracht und durch moderne Insuline und Antidiabetika die Kontrolle des Blutzuckers ermöglicht.

Die chinesische Medizin kann zur Ätiologie und Pathologie des Diabetes eine erweiterte, ganzheitliche und systematische, für die klinische Behandlung relevante Betrachtung hinzufügen. Die Stärken der chinesischen Medizin liegen in der Vorbeugung von Diabetes und der Behandlung der Komplikationen. Das Konzept der chinesischen Medizin, mittels der Grundsätze

„Wenn noch keine Krankheit besteht, beuge man zunächst vor“

sowie

„Wenn eine Krankheit bereits da ist, verhindere man eine Verschlechterung“

Krankheiten zu behandeln, wenn sie noch nicht ausgebrochen sind, spielt bei dieser Gruppe von Menschen eine entscheidende Rolle. Man kann sogar davon ausgehen, dass bei diesen Patienten eine chinesische Medizintherapie im Frühstadium von Diabetes (pathologischer oraler Glukosetoleranz-Test) bewirken kann, dass sie seltener einen manifesten Diabetes Typ II entwickeln.

Die Möglichkeiten der westlichen Medizin sind bei der Senkung des Blutzuckers hervorragend,  hinsichtlich der Therapie von diabetischen Komplikationen aber begrenzt. Dies betrifft sowohl die diabetische Nephropathie, Neuropathie als auch arteriosklerotische Veränderungen. Besonders im Hinblick auf die diabetische Polyneuropathie und das diabetische Fußsyndrom sind die therapeutischen Maßnahmen der westlichen Medizin nicht sehr erfolgreich.

Durch Einnahme chinesischer Dekokte, äußerliche Waschungen aus chinesischen Arzneimitteln sowie eine mit westlicher Medikationkombinierte lokale Versorgung kann der Zustand des Patienten häufig gebessert werden. Außerdem kann dadurch häufig eine Amputation der betroffenen Extremität verhindert werden.

Klinische Syndromdifferenzierung von konsumierendem Durst (xiaoke, situs diffundens)

In der chinesischen Medizin wird Diabetes mellitus als „konsumierender Durst“ (xiaoke, situs diffundens) bezeichnet.  Durch eine angeborene, konstitutionelle Schwäche, einer Disharmonie oder Schwäche der Funktionskreise (zangfu, orbes; Fk) entsteht vermehrter Durst, starker Hunger, reichlicher Harn, der Körper magert ab, gelegentlich wird der Harn trüb und riecht süßlich. In den klassischen Quellen zur chinesischen Medizin tritt der Begriff „Diabetes“ zwar nicht in Erscheinung, aber es wird doch in dem vor über 2000 Jahren verfassten Werk Klassiker des Gelben Kaisers „konsumierende Hitze“ (xiaodan) erwähnt, deren klinische Manifestationen denen des heutigen „Diabetes“ recht ähnlich sind. Auf der Grundlage der unterschiedlichen Krankheitsmechanismen und klinischen Manifestationen finden sich noch weitere Bezeichnungen wie

  • „konsumierender Durst“ (xiaoke, situs diffundens),
  • „Zwerchfell-Konsumption“ (gexiao, „Lungen-Komsumption“)
  • feixiao) oder
  • „Konsumation der Mitte“ (xiaozhong).

Nach der chinesischen Medizin wird der Pathomechanismus auf der Grundlage der Befunde, die sich aus den vier Diagnosemethoden Betrachten, Riechen, Fragen und Pulstasten ergeben, bestimmt. Man kann Patienten, die an konsumierendem Durst leiden, vereinfacht in 6 verschiedene Typen einteilen:

  • energetische Schwäche des Yin (yinxu, depletio Yin) mit starker Hitze (huo, ardor),
  • energetische Schwäche von sowohl Qi als auch Yin (yinqixu, depletio Yin und Qi),
  • energetische Schwäche von sowohl Yin als auch Yang (yinyangxu, depletio yin und yang),
  • Blockade durch Feuchtigkeit und „trübe Säfte“ (shi, humor),
  • Qi-Stagnation im Fk Leber (stase qi hepatici ganyu),
  • Xue-Stasen und Qi-Stagnationen (ganxue, ganyu)

Die wichtigsten ätiologischen Faktoren für Diabetes werden gesehen in

  • unbalancierten Emotionen,
  • Ernährungsfehlern,
  • übermäßigem Konsum von Fett, Süßem und Alkohol,
  • tiefgehender Erschöpfung,
  • übermäßiger sexueller Aktivität,
  • äußeren pathogenen Faktoren („klimatische Exzesse“, liuyin).

Die chinesische Medizin legt großen Wert auf die Beziehung zwischen den Emotionen und Gesundheit; ihrer Ansicht nach besteht ein sehr enger Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Diabetes und Veränderungen bei den Emotionen. Weiterhin stehen emotionale Veränderungen häufig mit Veränderungen bezüglich der Funktionskreise (zangfu, orbes), Qi und Xue sowie Körperflüssigkeiten in Verbindung. Im Huangdi Neijing im Kapitel “ Einfache Fragen“ (Suwen, Kapitel „Abhandlung über die Regulierung der Hauptleitbahnen“) steht: „Gibt es zu viel Xue, tritt Zorn auf, gibt es zu wenig Xue, entsteht Furcht.“

Ye Tianshi (berühmter Arzt, lebte zur Zeit der Qing-Dynastie) schreibt in seinem Werk Klinisches Handbuch mYe Tianshi (berühmter Arzt, lebte zur Zeit der Qing-Dynastie)schrieb in seinem Werk Klinisches Handbuch mit medizinischen Fällen (Linzheng zhinan yi‘an): „Bei jemandem, der Sorgen und Kummer hat, brennt Glut (huo, ardor) im Inneren, was zu einerschweren konsumierenden Durst-Krankheit führt.“

moderne medizinische Forschung und TCM

Die moderne medizinische Forschung bestätigt, dass bei einem Menschen, der sich ständig Sorgen macht oder stark depressiv ist, der Insulingehalt im Blut deutlich verringert sein kann. Auch steigen ACTH und Kortisolspiegel. So kann eine langfristig pathologische psychische Verfassung die Entwicklung von Diabetes fördern und die klinischen Symptome verstärken.

Fehlernährung führt zu einer Ansammlung von Hitze (re, calor), die die Körperflüssigkeiten (jin) schmälert Die Ernährung ist die materielle Basis für die physiologischen Prozesse im menschlichen Körper. Gesunde, vernünftige Ernährungsgewohnheiten, ein ausgewogenes und geregeltes Verhältnis zwischen Arbeits- und Ruhephasen, eine angemessene Kombination aus Anstrengung und Ausruhen ist Voraussetzung für Gesundheit. Auch früher schon legte die chinesische Medizin großen Wert auf den Zusammenhang zwischen Ernährungsgewohnheiten sowie Arbeits- und Ruhephasen einerseits und Ursache und Wirkung von Diabetes andererseits.

Der häufige Verzehr von fetten und süßen Speisen, Alkoholkonsum, Fettleibigkeit, ständiges Bedientwerden, Bequemlichkeit, Privilegien und zu wenig Bewegung lassen den Menschen leicht krank werden. In den Einfachen Fragen (Suwen, Kapitel „Allgemeine Abhandlung über energetische Schwäche und Fülle“) heißt es: „Konsumierende Hitze (xiaodan) findet man bei fettleibigen Privilegierten; das ist eine Krankheit, die durch zu reichhaltiges Essen entsteht.“

Dies ist weltweit die erste Bemerkung darüber, dass Fettleibigkeit, übermäßiges Essen und Trinken und der exzessive Konsum von süßen, reichhaltigen Speisen zu Diabetes führen!

Das alte Konzept der Fehlernährung der TCM nahm die moderne Erkenntnis vorweg, dass Fehl- und Überernährung, besonders kohlenhydratreicher, fettreicher Kost, Übergewicht sowie hoher Konsum von Zucker die Diabetesentstehung massiv fördert.

Die „sechs äußeren pathogenen Faktoren“ (klimatische Exzesse, liuyin) sind „Wind“ (feng, ventus), „Kälte“ (han, algor), „Sommerhitze“, (shu, aestus), „Feuchtigkeit“ (shi, humor), „Trockenheit“ (zao, ariditas) und „Glut“ (huo, ardor). Im Klassiker des Gelben Kaisers werden sie als die „sechs pathogenen Qi“ bezeichnet. Diese „sechs äußeren pathogenen Faktoren“ sind zum einen bildhaft zu verstehen, aber auch wörtlich im Sinne klimatischer Exzesse, die die Anpassungsfähigkeit des Menschen überschreiten.

Basis ist die klinische Beobachtung, dass bestimmte Krankheitsbilder in bestimmten Jahreszeiten gehäuft auftreten, bestimmteKrankheitsmuster typisch sind. Die „sechs äußeren pathogenen Faktoren“ (klimatische Exzesse, liuyin) sind aber auch Bilder für von außen eingedrungene Pathogene.

Die aktuelle Forschung der westlichen Medizin postuliert als einen Auslöser von Diabetes Typ 1 virale Infektionen, die zu einer Zerstörung der Insulin-Beta-Zellen führen. Bei Diabetikern können durch akute Infektionen auch erhöhte Blutzuckerwerte auftreten. Diese Forschungsergebnisse und das Wissen der chinesischen Medizin über die sechs äußeren Pathogene als Krankheitsursache sind analog zu sehen.

Möglichkeiten und Grenzen der chinesischen Medizin bei der Diabetestherapie

Eine der Stärken der chinesischen Medizin ist die individuelle Anpassung an Konstitution, Alters- und Geschlechtsunterschiede, Jahreszeiten und klimatische Faktoren. Hier kann die chinesische Medizin die westliche Diabetestherapie ergänzen, können diese aber nicht ersetzen.

Der erhöhte Blutzuckerspiegel ist nur ein wichtiges Symptom dieser Krankheit. Einige subjektiv empfundene Symptome, die individuell einen großen Leidensdruck erzeugen, werden nicht direkt zum Blutzuckerspiegel erlebt. Obwohl bei manchen Patienten der Blutzucker gut unter Kontrolle ist, fühlen sie sich dennoch erschöpft und kraftlos, sie leiden unter Mundtrockenheit, haben aber wenig Bedürfnis zu trinken und ähnliches.

Die westliche Medizin fokussiert sich auf die Erreichung eines guten Blutzuckerwertes und ignoriert häufig diese subjektiven Symptome, da für sie keine weitere Klassifizierung möglich ist und sie auch keine speziellen Therapiemaßnahmen anzubieten hat. Die chinesische Medizin zielt genau auf diese individuellen Unterschiede ab, führt eine chinesische Syndromdifferenzierung durch und ergreift unterschiedliche therapeutische Maßnahmen. Dadurch können die Symptome der Patienten gelindert und sehr gute therapeutische Resultate erzielt werden.

Ein weiterer Vorzug der chinesischen Medizin bei der Therapie von Diabetes mellitus besteht darin, dass sie Diabetes mellitus und seinen chronischen Komplikationen vorbeugen und die Lebensqualität der Patienten verbessern kann. Im Zuge verbesserter Untersuchungsmethoden gibt es immer mehr „Diabetes-Grenzfälle“, die sich zwischen einem normalen Blutzuckerspiegel und einem diagnostizierten Diabetes mellitus bewegen. Wenn diese Patienten im „Diabetes-Grenzbereich“ eine Therapie nach der chinesischen Medizin erhalten können, entwickeln sie möglicherweise keinen oder sehr verzögert Diabetes im Vollbild. Hierzu liegen aber nur klinische Fallbeschreibungen vor.

Kosten der TCM Diabetes Therapie

Die Kosten für eine Therapie mit chinesischen Arzneien sind in China noch gering: Die Therapie eines Diabetes-Patienten mit chinesischen Arzneien kostet ca. € 2-4/Tag. Wenn sich der Zustand des Patienten verbessert hat, ist die tägliche Einnahme von Arzneien nicht mehr erforderlich. Durch die chinesische Arzneimitteltherapie kann man so die Dosierung westlicher Medikamente und dadurch die Medikamentenausgaben reduzieren. Da durch lange Importwege sowie Zertifzierungsmaßnahmen in Europa die Kosten für die Therapie mit chinesischen Arzneien deutlich höher ausfallen können, ist hier allenfalls langfristig mit einer Kostenneutralität bzw. -reduktion zu rechnen.