Zwischen rasantem Fortschritt und gemächlichem Altertum

Die diesjährige Studienreise der SMS (Societas Medicinae Sinensis) führte eine engagierte Gruppe von TCM-Ärztinnen und -Ärzten unter der Leitung von Dr. Josef Hummelsberger quer durch China – mit dem Ziel, tiefgreifende Einblicke in die traditionelle chinesische Medizin (TCM), ihre Wurzeln und moderne Anwendungen zu gewinnen.

Reisebericht Studienreise der SMS nach China 2025

Gerüstet mit vielen neuen Apps auf dem Handy, von Alipay und WeChat über VPN und e-Sim starten wir unsere Reise ins Reich der Mitte. Powerbanks und seltsame Adapter für und made in China sprengen neben den Geschenken für unsere Professoren und Dolmetscher bereits bei der Hinreise das Gepäck.

Aufgeregt und freudig treffen wir uns am Frankfurter Flughafen und starten mit Air China nach Beijing/Peking. Bei Ankunft starteten wir in einem Bus, der exklusiv unserer Gruppe zur Verfügung stand und mit einem sehr motivierten Guide unseren ersten Ausflug zum atemberaubenden UNESCO Weltkulturerbe – der Großen Mauer. Bevor man die große Mauer erklimmen darf, bedarf es einer schier endlosen Passport-Kontroll-Odyssee. Hier haben wir vermutlich das erste Mal festgestellt, dass das Thema Personenüberwachung und Datenschutz in China doch anders gehandhabt wird. In den anderen Städten war das weniger ausgeprägt – gemäß der Weisheit „Der Kaiser ist weit, die Berge sind hoch“.

Die große Mauer war ein echtes Highlight. Sie erstreckt sich über 6300 km und diente als Schutz und Abwehr gegenüber den Mongolen und Nachfolgern. Viele Teile wurden rekonstruiert und sind zugänglich, wobei man für einen Spaziergang auf und ab definitiv  sehr viel Wasser und Sonnenschutz benötigt. Zurück im Zentrum von Beijing wartete der Kaiserpalastes auf uns. Als ehemalige Residenz und Regierungssitz des Kaisers symbolisierte der Palast die Funktion des Kaisers. Als Sohn des Himmels war er Mittler zwischen Himmel und Erde. Die kosmische Ordnung und irdische Entsprechung wurden durch eine korrekte Regierung und Beachtung der Riten erhalten. Passend zu dieser überirdischen Funktion erstreckt sich der Palast auf über 720.000m². Der Sommerpalast außerhalb der Stadt steht dem überirdischen Eindruck in nichts nach. Wir ließen unsere Zeit in Beijing mit Flanieren in den Hutongs und außergewöhnlich leckeren Jiaozi ausklingen.

Überrascht waren wir von Beijing, da es mit vielen Bäumen und Pflanzen sehr grün erscheint, ein überschaubarer Straßenlärm aufgrund der vielen E-Autos und ein geordnetes Chaos trotz der vielen Menschen auf allen denkbaren Transportmitteln herrscht. Auch ist die Luft durch die Maßnahmen sehr viel besser geworden. Bilanz nach den ersten Eindrücken – kein Kulturschock!

Fun facts: E-Autos dürfen jeden Tag fahren, Verbrenner an bestimmten Tagen in der Woche, je nach Kennzeichen. Ein Privatauto darf nur erworben werden, wenn man ein Kennzeichen dazu besitzt. Der Antrag für ein Privatauto-Kennzeichen kann jedoch Jahre dauern.

Die Ein-Kind-Politik wurde wieder verlassen, nachdem man festgestellt hat, dass (oh Wunder) die Geburtenraten zu stark zurück gehen. Aktuell werden nur 6 Millionen Geburten/Jahr für das ganze Land verzeichnet und ein Trend bei den jüngeren Chinesen ist wohl auch ohne Kinder zu leben, so dass aktuell Kinder verstärkt subventioniert werden. Dennoch bleibt das Leben in den Metropolen sehr, sehr teuer, zu teuer für viele junge Paare.

Weiter geht’s mit einem Inlandsflug nach Zhangjiajie zur Besichtigung des Nationalparks mit den berühmten Felsen aus Avatar. Idyllisch strömte unsere Gruppe mit Tausenden Chinesen von Aussichtsplattform zu Aussichtsplattform. Natürlich gab es zahlreiche Selfies und Gruppenfotos. Selbst Mitten in der Natur findet man Powerbank- Leihstationen, um sicherzustellen alle Impressionen aufnehmen zu können. Ein leerer Akku ist nichts für ChinesInnen.

Nach dem Abendessen folgte der Tradition entsprechend eine sog, „Fußmassage“, die sich als teilweise schmerzhafte Teilkörpermassage entpuppte und so machen blauen Fleck hervorrief, dennoch noch häufig während der Reise wiederholt wurde.

Am nächsten Tag besichtigten wir nach einer etwa 2,5-stündigen Busfahrt die Plantagen der Firma Herba Sinica in Shimen. Ou´s Onkel zeigte uns voller Stolz sein Lebenswerk und wir lernten wie essenziell Detailarbeit und das Wissen zur Kultivierung und Verarbeitung von Heilkräutern ist. Manchmal kann erst nach Jahren der Mühen bei voller Blüte und zur Erntezeit die Art der Pflanze final bestimmt werden-so bleibt ein gewisses Risiko, ob die Mühen sich lohnen und die Pflanze den Weg in ein Dekokt schafft. Interessanterweise sind die besten Erzeugnisse für den Export vorgesehen. Später erkundeten wir die „kleine“ Stadt Shimen mit 1,6 Mio. Einwohner. Wir beobachteten eine Gruppe Frauen beim nächtlichen Einstudieren eines Tanzes und wurden dann selbst zur Attraktion. Beinahe hätten wir uns auf Mahjong-Spiel um Geld eingelassen, mit einem wissenden Grinsen der Männer am Spieltisch, haben wir dankend ablehnt. Xièxiè, bùyòng xiè.

Auf dem Weg nach Changsha sehen wir Privathäuser von sog. Wanderarbeitern, die zum Teil leer stehen und nur über das Neujahrsfest von den Familien genutzt werden. Zur Hochzeit kehrt man auch in seine Heimatdörfer zurück. Häufig findet in China eine Art Generationsverschiebung in der Erziehung der Kinder statt und so werden die Enkelkinder in der Regel durch die Großeltern großgezogen. Die Großeltern leben zum Teil mit den Enkelkindern außerhalb der Metropolen in diesen Häusern.

Changsha ist eine Stadt, die bei jüngeren Chinesen aufgrund des pulsierenden Nachtlebens sehr beliebt ist. Spannend war für uns der Besuch im Hunan Museum, welches die Relikte der Mawangdui Grabstätten beinhaltet. Dort erhielten wir durch die Kontakte einen speziellen Guide, der uns durch die Ausstellung führte.  Es handelt sich um die Familiengrabstätte des Dai-Vasallen Li Cang, der zu Zeiten der frühen westlichen Han-Dynastie Premierminister des Staates Changsha war. Außerdem fanden Archäologen Texte auf Bambus-Stäben und Seide und eine vollständige Ausgabe des I Ging, das Buch der Wandlungen. Texte mit anatomischen Strukturen wie Nervenbahnen, Muskelstränge oder Blutgefäße wurden präzise mit den typischen Begriffen der traditionellen chinesischen Medizin umschrieben. Sie repräsentieren somit den weltweit ältesten erhaltenen anatomischen Atlas. Auch Zeichnungen von Bewegungsübungen, wie Qi Gong, wurden entdeckt. Wirklich beeindruckend für uns TCM-Ärzte.

Wir besuchten danach das die Hunan-TCM Akadmie in Changsha und erhielten Einblicke in deren Grundlagenforschung zur Arzneimitteltherapie. Später schlüpften wir in die Patientenrolle und einige wurden gemoxt, geschröpft, mit TENS behandelt und erhielten chinesische Diagnostik. Das köstliche Essen war nach Yaoshan-Regeln zu bereitet worden, sollte also unsre Gesundheit und Vitalität fördern.

Weiter geht’s nach Chengdu mittels Inlandsflug. Chengdu ist die Provinzhauptstadt von Sichuan und berühmt für seine Pandas, die Küche und in unserem Fall auch für die TCM-Uniklinik.

Maja, unser Guide für die nächsten Wochen, führt uns zur den Pandas und wir haben Glück und sehen die flauschigen schwarz-weißen Teddys, die uns schockverliebt mit Strahlen in den Augen durch den Park wandern lassen. Maja übertrifft bei gefühlten 40 Grad den akribischen Sonnenschutz der ChinesInnen mit langem, schwarzem UV-Mantel mit Kopf- und Handbedeckung und Sonnenschirm. Weißer Teint ist ein weiterer Trend, womit sich ChinesInnen von klassischen europäischen Urlaubern unterscheiden. Bleaching der Haut treibt das weiter auf die Spitze.

Chengdu zieht uns alle in seinen Bann. Ob Bummeln, Teehaus, Fußmassagen, Flanieren im tibetischen Viertel, Tempelbesichtigungen mit und ohne Räucherstäbchen-Ritual oder Yoga, bei manchen auch Taiji am Morgen im Park gegenüber dem Hotel. Jeder findet hier einen Platz zum Verweilen.

Dann geht’s endlich an die Uni! Wir schlüpfen wieder in die Rolle eines Studenten mit weißem Kittel, Namensschild, akkurater Haltung und starten herzlichst begrüßt in den Unialltag. An den insgesamt 10 Unitagen durchlaufen wir verschiedene Abteilung (Gynäkologie, Prävention (oder liebevoll getauft Moxahölle), Gastroenterologie, Tuina, Ophthalmologie, Pädiatrie, HNO) und lernen mehr über Diagnostik (Zungen- und Pulsdiagnostik) und Diagnosestellung, Lebenspflege, Rezepturen und über fehlende Privatsphäre oder Datenschutz. Die Abläufe sind alle weitgehend digitalisiert und ohne Smartphone ist ein Arztbesuch für den Patienten nicht mehr möglich (wie auch der Alltag). Begleitet wird der Unitag von ausgewählten Vorlesungen mit spannenden Themen wie die Diagnostik mit dem Up-Down-Puls, Dermatologie, Akupunktur nach Himmelstämmen und Erdzweigen usw.

Es war sehr besonders zu sehen, dass keine geschlossenen Türen notwendig sind, um ein vertrauensvolles Gespräch mit Patienten zu führen aber auch jeder Patient bei seinen persönlichen Themen und Behandlungen bleibt. Manchmal befinden sich bis zu 10 Patienten mit Zugehörigen gleichzeitig in den Behandlungs- und Diagnoseräumen. „Guter Fokus“ ist sicher ein spezieller Kurs an der Uni für jeden Arzt oder für jede Ärztin, die in China praktiziert. Zudem sind die erfahrenen Ärzte auch persönliche Mentoren für ihre Studenten und pflegen eine zum Teil Eltern-ähnliche Beziehung mit ihren Studenten.

Die Chengdu-TCM-Universität besteht inzwischen aus modernen Gebäuden, die auch unseren Hygiene-Standards folgen, neben dem zentrumsnahen Klinikum gibt es noch einen riesigen neuen Campus ca. 45 min außerhalb mit 50.000 Studenten, Forschungseinrichtungen, Hörsälen und einem sehr umfangreichen TCM-Museum. Auch die tibetische Medizin wird hier in einem eigenen Institut erforscht und gelehrt, wie auch TCM-Krankenschwestern

Weitere Highlights außerhalb der Uni waren die Food-Tour, die breiten und langen Gassen, der Arzneimittelmarkt, der Antiquitätenmarkt und der Nacht-Naschmarkt, sowie ein etwas skurriles Highlight die Sichuan-Oper mit Massage oder Ohrenreinigung während der Aufführung. Ein typischer Sichuan-Opernbesuch eben.

Ganz besonders und spirituell war eine exklusive Taiji-Stunde – das Taijitu umrundend – mit einem taoistischen Meister im daoistischem Tempel, der uns danach noch zur Tee-Zeremonie einlud.

Am Wochenende erstiegen wir dann den Emei-Shan (3050 m), den heiligen Berg des Elefanten – Buddhas, badeten in heißen Quellen und sahen vom Boot im riesigen Min-Fluss aus den weltgrößten Buddha in Leshan. Dort wurden wir nochmals von einem der Lehrer zu einem der unglaublichen Essen eingeladen und sahen sein „modernes TCM-MVZ“.

Dies alles kann nur ein Teil der vielen Eindrücke, Erfahrungen, Lehren aus den drei Wochen sein, die Menschen, die Übersetzer, die Professoren und das ganze Uni-Team waren unglaublich offen, herzlich und freundlich, der Service in „unserem Wenjun-Hotel“ war großartig, wie auch fast überall. China hat sich in den meisten Bereichen sehr positiv entwickelt, nicht nur was die Digitalisierung, E—Mobilität, Infrastruktur und saubere Energien betrifft. Offensichtlich geht es vielen der Menschen gut, trotz aller Schwierigkeiten und Probleme auch der Wirtschaft sind die Menschen sehr motiviert und positiv, auch gerade Deutschland gegenüber.

Es war eine großartige, lehrreiche und sehr besondere Reise in einer großartigen Gruppe von Kolleginnen und Kollegen. Nach 23 Tagen geht es wieder zurück nach Deutschland.

Bis bald China!!